Kurzgeschichte
Wer, wenn nicht sie? Engel in Weiß
Annalena Hutt,
Agnes-von-Hohenstaufen-Schule Schwäbisch Gmünd,
Klasse13
Sie waren müde. Sie mussten es sein. Der Mann, abgedeckt mit einem weißen Laken, wurde an der Küche vorbeigeschoben. Er war kalt. Der Kaffee in ihrer Hand.
Sie wendete sich ab, kehrte dem Tod den Rücken, das dritte Mal diese Woche. Es war erst Donnerstag. Die Last drückte sie nieder, doch sie blieb stehen. Ein Fels in der Brandung.
Der Kaffee in ihrer Hand. Es war schwer. So schwer. Schwerer als der Rucksack bei den Wanderurlauben im Sommer. Doch sie trug ihn. Musste es, oder? Sie seufzte, ließ etwas ihres Druckes entfleuchen. Gegenüber ihr war ein Spiegel. Ein Stück Metall, das erlaubte, von außen auf ein Leben schauen zu können. Ein Moment der Reflexion. Ein Gegenstand, der über mehrere Ecken einen geheimen Einblick in Dinge erlaubte, die vielleicht gar nicht gesehen werden sollten.
Objektiv? Vermutlich nicht, denn was war das schon? Sie war erst Mitte 20, sah wie Ende 30 aus und fühlte sich wie Anfang 50. War das normal? Ihre Freunde sagten nein, wenn sie mal wieder mit ihnen redete, um einen gemeinsamen Abend abzusagen. Doch was wussten die schon. Tagtäglich hinter einem Schreibtisch sitzen und Belangloses eintippen konnte sie auch.
Sie verzog das Gesicht. Wie bitter. Der Kaffee in ihrer Hand. Jedes Mal verteidigte sie ihre Arbeit. Jedes Mal lachten sie, schüttelten den Kopf, verstanden es nicht. Jedes Mal fühlte sie sich noch älter. Doch sie liebte ihre Arbeit. Es war verhasster Himmel und geliebte Hölle zugleich. Jeder Tag, ja gar jede Stunde war anders und trotzdem gleich, durchzogen von gewohnten Routinen und gespickt mit adrenalingeladenen Momenten.
Ihre Arbeit wurde gleichermaßen unterschätzt wie die vieler Unsichtbarer. Mussten Blicke von oben aushalten und ihr süßes Gesicht war nur eine Tarnung ihrer Komplexität. Niemand machte sich die Mühe, genau hinzusehen, niemand wollte erkennen, was sie eigentlich schon lange sahen. Nicht einmal ihre Vorgesetzten sahen hin, nicht einmal sie begaben sich auf Augenhöhe. Wieso sollten es dann die anderen tun? Doch waren sie für sie nicht die wichtigsten? Was für eine Farce. Waren sie nicht sogar aus den gleichen Reihen? Was für eine Farce. Doch sie liebte ihre Arbeit. Würde sich immer wieder dafür entscheiden. War das nicht das Wichtigste?
Anerkennung war ein Fremdwort. Ein fremdes Wort, welches nie die Assoziation zu ihnen gefunden hatte. Pech oder Glück? Beschweren taten sie sich nie. Konnten es nicht. Durften es nicht. Wollten es nicht. Denn wenn nicht sie, wer dann? Gaben sich geschlagen ihrem Schicksal hin. Mit Leidenschaft. Mit Passion. Sie taten es nicht für sich, sie tun es für uns.
Und wir? Lohnen ihre Arbeit beschämungsvoll. Mit erschöpften Gliedern richtete sie sich auf. Wurde ihrer Größe gerecht. Aufgestanden mit der Sonne würde sie sich mit ihr wieder hinlegen. Alltag. Alles tat ihr weh, damit es anderen gut ging. Lebensrettend. Der Kaffee in ihrer Hand. Sie erblickte sich ihr gegenüber. Ein Moment der Reflexion.
Wer war diese Frau? Unscheinbar gekleidet in Weiß. Schwer trug sie die Kleidung, getränkt in Verantwortung. Stolz. Hoffnung gebend. Ein Fels in der Brandung. Ermutigend. Ein Fleck. Spottend prangte er auf ihrem Oberteil. Eingefangen bei der letzten Begegnung. Es würde Tage dauern, bis er weg war. Unzählige Waschungen. Vielleicht würde er nie gehen.
Festgesetzt in den Fasern, verankert in der Erinnerung, würde er ein unerwünschter Freund bleiben. Wie viele hatte sie davon schon. Möglicherweise verschwand er irgendwann, doch für immer war fraglich. Liegt das Licht gut, passt die Situation, kommt er gern zurück. Kontrastierend der Hintergrund. Weiße Fließen. Kalt. Beängstigend.
Einengend. Ein Fleck. Lächelnd prangte er über der Kaffeemaschine. Sie durfte nicht vergessen, ihn wegzuputzen. Ein Lappen würde reichen. Morgen war er vergessen. Wie ironisch. Mit schwerer Seele lächelte sie der Frau ihr gegenüber zu. Sie war zufrieden. Denn sie liebte ihre Arbeit. Mit geschundenen Flügeln stand sie da. Im Haus der Kranken.
Ein Engel war schwierig zu sein in der heutigen Zeit. Mit Füßen getreten von der…. Sie drehte ihren Kopf. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie es angefangen hatte. So leise, so wichtig. Der Regen klatschte gegen das Fenster, es klang wie Applaus. Doch so wie die Leistung ihrer Arbeit, würde auch dieser kleine Schauer schnell wieder verschwinden. Hoffentlich würde es aufgehört haben, wenn sie nach Hause gehen würde. Sie hatte keinen Schirm dabei, um sich abzuschirmen, nass werden wollte sie nicht. Sie waren müde. Sie mussten es sein.
Danke.
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